Ein Märchen

AURELIA*

Es war einmal vor langer Zeit auf den salzigen Wiesen am Wind, vor der nordischen Küste. Zwischen Blumen und Käfern, Kaninchen und Mäusen, Heidekraut und Hagebuttenbüschen strahlte die Wiesenfee Aurelia.
Bei grauem, wolkenverhangenem Himmel war ihr Schein tief-golden, fast rötlich. Bei hellblauem Horizont und leergefegtem Firmament strahlte sie weiß-golden. Auch heute noch blitzt und blinkt es manchmal, wenn man in die Ferne sieht. Da Feen im allgemeinen aber nicht sehr groß sind, blendet ihr Licht nicht schmerzhaft in den Augen; doch sie selbst ist niemals zu sehen.
Von Ihrer Lieblingswiese aus konnte Aurelia bis zum Land hinter den Wassern am Ende des Himmels sehen.
Mit der Zeit kamen immer mehr Menschen und bauten Wälle aus Erde und Steinen, steckten alte Äste und kleine Bäume in den Boden und teilten die Wiese. Das ärgerte Aurelia manchmal, da die geraden Wälle und Zäune die kurvigen Rennbahnen der Hasen durchzogen, auf denen sie zuweilen mit den Tieren um die Wette lief.
Zu späterer Zeit pflanzte ein Mensch viele Tannen, Fichten und Kiefern nebeneinander und rahmte sie mit einem Erdwall ein. Aurelia war böse: Jetzt stand auf ihrer schönsten Wiese ein Wald, aber ganz gerade und dicht. Von hier hatte sie immer einen weiten Blick über das ganze Land, das Wasser und das ferne Land am Horizont gehabt. Auch der Himmel war ganz nah.
Die kleinen Tiere fanden den Wald schön, denn auf den abgesteckten Wiesen waren jetzt Schafe, Kühe und Pferde, die alles Gras fraßen und die Blumen platt trampelten.
Doch eines Tages rissen die Menschen die ganzen Bäume wieder heraus. Sie bauten noch einen roten Steinhaufen und setzten ihm eine Mütze aus Gras auf.
Da schimpften die Vögel, Kaninchen, Mäuse und Ohrenkneifer sehr. Doch Aurelia ließ sich auf das Dach nieder, lehnte sich an den Schornstein, beugte ein Beinchen ein während sie das zweite baumeln ließ und rief aus. „Schaut nur! Mein Geliebter, blick auf das Land, das kommt und geht und das Grün am Horizont! Und auch den Himmel kann ich fast wieder greifen!“ Vor Freude strahlte  ihr goldenes Licht heller den je. Das durchwärmte die Tiere die nun auch zufrieden waren. Einige hockten sich zu ihr und atmeten tief die seit alter Zeit salzige Luft.
Und so ist es noch heute…

*= Aurelia ist die weibliche Form des nomen gentile Aurelius  .
 Der Name trägt die Bedeutung „die Goldene“. Aurelia (die Wiesenfee)